Über den Wolken

Über den Wolken

Er hatte sie flehend angesehen und sie hatte es wieder getan. Die Vinyl-Single lag auf dem Plattenteller, sie musste, wie so oft, nur den Tonarm auflegen. „Über den Wolken“ sang Reinhard Mey, das Lied von der grenzenlosen Freiheit. Er wollte es hören, jeden Tag, immer wieder, nur dieses eine Lied. Dabei saß er so, dass er zwischen den Lautsprechern die beste Tonqualität erlebte. Nie sprach er, auch danach nicht, wenn der Tonarm wieder in die Ruhestellung zurück geschwenkt war. Die Platte hatte er einst auf einem Trödelmarkt wegen der A-Seite mit dem „Mann aus Alemannia“ gekauft. Die andere Seite mit der Hymne vom Fliegen war ihm bald wichtiger geworden. Still war es im Raum, als sie nach dem Verklingen des letzten Tons sein Bett in die Liegeposition kippte. Er konnte nur noch auf die Zimmerdecke blicken. Ob er damit unglücklich war, wusste sie nicht. Seit dem Unfall vor 10 Jahren konnte sie ihn nicht mehr fragen. Vom Plattenteller hob sie die Platte ab und warf sie in den Plastikmüllbehälter. Sie ging ins Schlafzimmer, das zu ihrem Zimmer geworden war, und nahm ihre Handtasche. Sie schaute hinein und sah, dass der Flugschein drin war. Dann nahm sie die leichte Sommerjacke von der Flurgarderobe und verließ die Wohnung.

Hans Dieter Peschken