Meine Geliebte

Meine Geliebte
Video zu einem Galopprennen

Endlich. Bald darf ich sie wiedersehen, die große Liebe meines Lebens. Sie wird sich frisch herausgeputzt präsentieren, die alte Dame, sie wird mit ihren eleganten Linien offen vor mir liegen wie eine fein gemachte englische Lady. In Deutschland gibt es keine schönere, das behaupte ich. Und ich bin nicht der einzige Liebhaber der Krefelder Galopprennbahn. Seit 1913 sind weit über drei Millionen Menschen, die meisten mehrfach im Jahr, zu den Renntagen in den Stadtwald gekommen. Wie ich freuen sich immer wieder die Krefelder und mit ihnen viele Auswärtige, die schnellen Pferde auf Gras, dem bestens gepflegten „Turf“, laufen zu sehen. Denn nicht nur dem grünen Oval, von den Stadtwaldbäumen eingerahmt, gilt die Begierde der Rennbahn-Fans. Die Vollblüter, die seit Jahrhunderten hochgezüchteten Rennpferde sind es, denen mindestens so viel Aufmerksamkeit gilt, wie der Naturkulisse und den denkmalgeschützten Tribünen von August Biebricher, die zum Krefelder Kulturgut gehören.

Galoppieren will ich sie sehen, die Rösser mit den leichtgewichtigen Jockeys auf ihren Rücken, und zwar schnell und um die Wette. Was die Besitzer der Galopper für eine gute Platzierung oder gar den Sieg an Geldpreisen bekommen, interessiert mich nicht so sehr. Ich will mich am Wettrennen beteiligen, meine Euros sollen mitlaufen. Meinen Herzschlag will ich spüren, mein liebendes Verlangen steigert sich bis zur Erlösung beim Zieleinlauf.

Ich bin ein Wetter, aber kein Zocker. Denn ich wahre meine Chancen.

Zuerst schaue ich mir die Teilnehmer eines Rennens im Führring an, prüfe ihr Aussehen, registriere ihre Muskelpakete, das glänzende Fell und merke, ob sie nervös trippeln, oder müde schleichen. Sehe, ob mir der Reiter – oder die Reiterin – gefällt, ob deren Umgang mit dem Pferd gelassen, aber professionell ist.

Natürlich studiere ich auch die Formen in der Fachpresse, lese über die letzten Erfolge oder Nichterfolge, über Lieblingsdistanz und Gewichte, und was die Fachleute dazu meinen. Bin ich klug, markiere ich die Nummer meines Pferdes auf dem Wettschein. Erst einmal riskiere ich fünf Euro auf Platz, mein ausgeguckter Renner muss also nur unter den ersten drei ins Ziel kommen. Während ich mein Geld am Wettschalter abgegeben habe, sind die Pferde schon auf der Bahn angekommen.

Beim canternden Aufgalopp beobachten dann alle Wetter die Galoppsprünge ihrer Favoriten und sehen dann, wie die Starthelfer die Pferde in die Boxen bugsieren. Nicht immer wollen alle gerne hinein, aber wenn vorne die Klappen aufgehen, stürmt das Feld los. Verhalten einige, andere machen gleich vorne die Pace. Nach 1 700 Metern – es sind auch Rennen mit anderen Distanzen im Programm – sind sie im Ziel vor den Tribünen, haben dabei einmal die Bahn umrundet.

Und, im Vorjahr war es gleich am ersten Renntag so, mein Pferd ist tatsächlich Zweiter geworden.

An seine Schnelligkeit glaubten allerdings viele Wetter, es gab nur 14 für zehn eingesetzte Euro. Ich bekam also sieben ausgezahlt, immerhin. Kleiner Mut, kleiner Gewinn. Für den großen Einsatz fehlen mir auch die finanziellen Mittel, aber ich will ja nicht reich werden auf der Rennbahn. Ich will Spaß. Und ein paar Mal möchte ich den Höhepunkt erleben, im Ziel als Sieger dabei sein.

Das wird mir gelingen, bestimmt, und nicht nur einmal.

Denn acht Rennen sind am Nachmittag. Acht Mal kann ich Nervenkitzel und Erfolgserlebnisse vereinen, kann mich freuen oder ärgern. Fühle ich mich sicher, setze ich auf Sieg, nehme ich dazu einen Außenseiter, ist bei Erfolg die Quote hoch. Kann ich mich nicht zwischen zwei Kandidaten entscheiden, setzte ich sie als „Zweier“ auf die ersten beiden Plätze. Die Chance, dass ich gar nix zurückbekomme, ist nicht so sehr groß. Ich werde sogar mal, in der „Wettchance des Tages“, eine Viererwette wagen. Vier Pferde in der richtigen Zieleinfolge vorauszusagen, ist schwer. Ich kombiniere deshalb gleich fünf Pferde miteinander. Weil ich dabei nur 0,50 Euro pro Wette einsetze, gibt es dann auch nur den 20. Teil der Quote, wenn ein Tipp „drin“ ist. Spannend ist das immer, aber wenn ein von mir nicht gemeintes Pferd zwischen „meine“ Pferde gelaufen ist, schaue ich mir trotzdem die Rückkehr der Pferde im Absattelring hinter der 1. Tribüne an. Sehe dann die enttäuschten Blicke von Trainern und Besitzern, während die Reiter ihre schnaufenden Pferde absatteln und erklären, warum sie im Ziel nicht vorne sein konnten. Die Siegermannschaft strahlt, Reiter, Trainer und Besitzer lassen sich anschließend die Ehrenpreise überreichen.

Für mich gibt es schon Zeit für die nächste Runde – Führring, Wettschalter, Tribüne. Wenn ich dort sitze, kann ich das ganze Areal überblicken, einschließlich der diagonalen Jagdbahn und den Golfplatz-Greens in der Mitte. Und wieder werde ich mitfiebern mit meinem Fünfer oder auch nur mit den gesetzten zwei Euro, wenn ich knauserig geworden bin. Die Zeit vergeht dabei wahrlich wie im Galopp, zwischendurch was trinken und essen – ja, pardon, heute mal Bratwurst –  muss ja auch noch sein und ist an den verschiedenen Ständen und bei Rennbahn-Wirt Volko Herdick möglich. Mit Bekannten, die ich zwischendurch treffe, vergleiche ich bisherigen Gewinn und Verlust. „Fachgespräche“ mit meinen „Mit-Liebhabern“ ergeben sich schnell, mancher hat vorher den sicheren Tipp und weiß hinterher, warum „sein Pferd“ doch nicht vorne war. Genau, ich kann auch immer überzeugend begründen, wieso es nicht reichte. Der Tipp war gut, aber der Reiter nicht, der Boden passte dem Pferd nicht, die Distanz war zu lang…

Am Ende des Nachmittags werde ich ein glückliches Gesicht machen, egal ob ich mit fünf Euro Gewinn oder sechs Euro Verlust nach Hause gehe. Das Wiedersehen und der Besuch bei meiner Geliebten waren es wert, eine Liebhaberei darf auch Geld kosten. Und, bei so viel Liebe, müde macht dieser mehrstündige Rundgang an der frischen Luft auch. Es wird wieder ein Tag gewesen sein, zwischen Natur und Kultur, Sport und Spannung. Doch ich weiß, kaum bin ich zu Hause, packt mich schon die Sehnsucht nach dem nächsten Rendezvous. Wir werden uns wiedersehen, die Krefelder Rennbahn im Stadtwald und ich, und ich weiß auch, dass meine Geliebte mich wieder erwarten wird.

Hans Dieter Peschken