Frank Sinatra

Frank Sinatra

Vor über 50 Jahren war es, ich war seit zwei Jahren ein Teenager, da hörte ich zum ersten mal seine Stimme, im Radio. Von „Chicago“, seinem „Hometown“, sang er, und damals wusste ich noch nicht, dass der am 12. Dezember 1915 geborene Frank Sinatra dort gar nicht zu Hause war, sondern aus Hoboken, gegenüber Manhattan, kam. Aber sein „Heimatlied“ klang überzeugend, ich glaubte ihm. Gleich danach ließ man Paul Kuhn eine Version dieses Liedes vortragen, was mich am anderen Tag zum Schallplattenverkäufer, der eher ein Radio- und Fernsehhändler war, zwang, wo ich den Sinatra-Song kaufte. Vier Mark kostete die Vinyl-Single, das war für mich sehr viel vom Ersparten, aber sie war es mir wert. Und immer wieder, wenn ich diese Summe zusammenhatte, kaufte ich eine weitere Platte. Vor dem Kauf legt man sie mir auf einen Plattenteller, ich bekam Kopfhörer und durfte, an einer Theke sitzend, den Song anhören. Zu Hause kam dann die Platte auf den Zehner-Wechsler der Telefunken-Truhe, die den Eltern sonst nur für Operetten-Wunschkonzerte nützlich war.

Ich konnte es nicht benennen, was mich faszinierte, das Wort Charisma kannte ich noch nicht. Was ich hörte, berührte mich. Ich war hingerissen von diesem Mann, von seiner Art, Lieder zu singen. Wie er die Vokale dehnte und stehen ließ, und die Konsonanten am Ende eines Wortes betonte, wie er arbeitete, ohne dass man es merkte. Mein Englisch reichte natürlich nicht, die Texte ganz zu verstehen, obwohl ich merkte, dass Sinatra sauber artikulierte. Alle die Connies  und Peters mit ihren eingedeutschten amerikanischen Hits, die „Stars“ der heimischen Teenager-Szene, aber auch die internationalen Song-Heroen, wie Elvis und Bill Haley, später die Beatles und die Stones, und wer sich sonst noch auf den Bühnen extrovertiert und schreiend abzappelte, die kaufte ich als, na ja, Belegexemplar für den Zeitgeschmack.

Aber Sinatra gehörte mein Ohr und mein Herz, und er sang nur für mich. Ich kannte niemanden, weder in meiner „peer-group“, die man damals noch nicht so nannte, noch in meiner Familie, der meine Liebe teilte. Und bis heute scheint man ihn in Deutschland nicht wahrzunehmen und angemessen zu würdigen. Immer noch werde ich mitleidig angeschaut, wenn ich ihn als meinen Favoriten nenne. Dass man Figuren wie Robbie Williams oder Roger Cicero, wegen der angeblichen Ähnlichkeit des Gesangsvortrags, zujubelt, oder ehemals gar dem peinlichen Harald Juhnke, ist der Beweis, dass man Sinatra nicht kennt. Ich aber folgte ihm ins „Moonlight in Vermont“, und ich hätte es gerne auch so schmachtend gekonnt, wenn er „I ´ve got you under my skin“ sang. Wenn er Grace Kelly in „High Society” anhimmelte, sie sei “sensationell“ und im selben Film mit Bing Crosby „Well did you evah“ sang. Ich war keiner, der sich in der Musik auskannte, der Stimmen nach ihrer Ausbildung beurteilen oder benennen  konnte. Noten lesen konnte ich nicht, für musikalisch hielt mich niemand. Aber ich muss erlebt haben – und dieser Zauber hält noch immer an – welche Sinnlichkeit, welche Botschaft jenseits der Worte dieser Mann mit seiner Stimme transportierte. Mit dieser Stimme, der alles gelang. Die sentimental war und swingte, die John F. Kennedy, dem er gerne nahe sein wollte, für dessen Wahlkampf „High Hopes“ wünschte und schon 1945  die amerikanische Heimat, ohne Heimattümelei und Patriotismus, in „The House I live in“ als weltoffen vorstellte, Religionen und Rassen vereinen wollte. Für das Filmchen mit diesem Song bekam er einen Oscar, niemand fiel wohl auf oder störte sich daran, dass beim Stolz auf „all races and religions“ kein farbiges Kind zu der Gruppe gehörte. Ich mochte die Balladen und „Saloon-Songs“ und auch die jazzigen Stücke wie in „L.A. is my Lady“, unter der Leitung von Quincy Jones aufgenommen. Profi-Jazzer mochten Sinatra auch, ja sie bewunderten ihn. Die Klassiker von George Gershwin, Cole Porter und Irving Berlin, ich kenne sie von vielen anderen, interpretierte er in ultimativer Manier.

Später erfuhr ich mehr über den Sänger, dass er sein Metier von der Pike auf gelernt, mit den Orchestern von Harry James und Tommy Dorsey gereist und sich vor dem Publikum erprobt hatte. Und, ich war damals gerade geboren, löste er in den USA Teenager-Hysterien aus, wie es sie vorher nicht gegeben hatte. Als Schauspieler sah ich ihn später im Kino, in „Verdammt in alle Ewigkeit“ und sah ihn mit den „Rat-Pack-Kumpels“ Sammy Davies und Dean Martin saufen, singen und herumalbern. Ich erlebte ihn 1993 auf der Kölner Domplatte, da war er schon 77 und der alte Herr, der vor dem Orchester stand, war sein Sohn Frank Junior. Natürlich las ich auch alles über ihn, über die Ehen mit Nancy und Ava, Mia und Barbara und alle Affären. Sein „asozialer Bengel-Charme“, seine augenzwinkernde Macho-Attitüde, wirkte offenbar auch noch im Alter auf Frauen, auf die Ladys und auch auf die „chicks.“

Von den angeblichen Verbindungen zur Mafia und der  mysteriösen Entführung seines Sohnes hörte ich wohl, und war auch irritiert. Aber ich musste ihn und seinen Lebensstil, ob er nun moralisch war oder nicht, nicht mögen. Ich mochte seine Stimme, sie faszinierte mich. Und die Wahrhaftigkeit, die er den  Songs mitgab. Natürlich wusste ich, dass die Texte nicht die seinen waren, dass er die Standards sang, die Lieder von Liebe und Sehnsucht, vom schönen und traurigen Leben, wie es nun mal in den Schlagern besungen wird. Sie gehörten auch zum Repertoire der übrigen „Crooner“, allen voran Bing Crosby, und solchen, auch nicht schlechten, wie Tony Bennett einer ist. Doch Sinatra veredelte auch die bösesten Banalitäten, nichts war von ihm gesungen mehr so platt wie es sich geschrieben las oder von anderen gesungen anhörte.

Auch die Texte von „Watertown“ erzählen so eine Allerwelts-Trennungsgeschichte, ohne  „great big ending“, ohne „string ensemble“ und ohne „tempest in the tea“ in zehn Songs. Und dennoch traurig, man hört den erzählenden Sänger leiden, der aber nicht nach Mitleid heischt. „Rain or shine“ – 1 900 Lieder soll er gesungen haben, 1 300 davon im Studio eingespielt. Nelson Riddle, Gordon Jenkins und Billy May waren einige der wichtigsten Orchesterleiter. Ich kenne nicht alle seine Lieder, leider, aber einige mag ich besonders. Nein, nicht „My Way“ oder „New York, New York“, und auch nicht „Strangers in the Night.” Einmal sind es die „Duets“ von 1993 und dann „Soliloquy“ (Rogers und Hammerstein), das er mehrfach aufgenommen hat. Die elfminütige Version auf „Sinatra 80th Live in Concert“ ist mir die liebste, und wie er dazu sagt, auch eines seiner Lieblingsstücke. Dieses gesungene Selbstgespräch eines „nichtsnutzigen“, werdenden Vaters, der seinen Sohn Bill sogar Präsident werden sieht – „aber nur, wenn er es will“ – ist so voller kitschiger Klischees, dass es schon wieder der Wahrheit sehr nahekommt. Und am Ende das Versprechen, wenn es denn eine Tochter würde, für sie zu  stehlen oder zu sterben – das hat die theatralische Ernsthaftigkeit und die Qualität eines tragischen Opernfinales. Eine Schnulze? Ja, aber dank Frank Sinatra doch nicht.

Als „The Voice“ am 14. Mai 1998 in Los Angeles an einem Herzinfarkt gestorben war, schaltete man dort zu Ehren von „Ol´Blue Eyes“ drei Minuten die Lichter aus. In New York ließ man das Empire State Building drei Tage in blauem Licht erstrahlen. Ich legte eine Platte auf, eine alte schwarze Vinyl-Scheibe: „All or Nothing at all“, mit der Frank Sinatra in meinem Geburtsjahr an der Spitze der US-Charts stand. Und jetzt, an seinem Geburtstag, wird meine CD-Sammlung, die mittlerweile die Vinyl-Platten ersetzt hat, ihm gratulieren und mir – „cause that old feeling is still in my heart“ – in memoriam  die  Gesellschaft des über hundertjährigen Jahrhundert-Crooners verschaffen.

Thank you, Frank.

Hans Dieter Peschken