Bahnsteig

Bahnsteig

Die Erde drehte sich weiter, kein Streicherensemble verstärkte die Melodramatik der Szene, kein Sturm wirbelte im Tee, als sie die Tasse absetzte.
„Schön“, sagte sie als er aufstand und ging. Es war aus, nach drei Jahren. Weil sie ein Kind wollte, er aber nicht. Sie war erstaunt, als er ein Jahr danach anrief, und um ein Gespräch bat. Unsicher willigte sie ein, schlug vor, ihn an der Bahn abzuholen. Ein Treffen auf dem Bahnsteig, dort wo die Züge ankommen und wieder abfahren schien ihr der richtige Ort zu sein. Sie sah ihn aussteigen und dann auf sie zukommen. Er ging aufrecht, selbstbewusst und blickte sie an. „Hallo“, sagte sie, als er vor ihr stand. Er trat ein wenig zur Seite und wies mit einer Kopfbewegung auf die dunkelhäutige Frau, die schräg hinter ihm stand, und an deren Hand sich ein fünfjähriger Junge festhielt.
„Meine Frau und ihr Sohn“, sagte er.
„Schön“, sagte sie.
Nichts explodierte, als sie sich umdrehte, keine Wolke verdeckte die Sonne, als sie den Bahnsteig hinunterging und der langsam anfahrende Zug sie überholte.

Dieter Peschken